Angst – was läuft im Körper ab?
Vieles verbindet sich mit dem Angstbegriff, zum Beispiel belastendes Umfeld, überfordernde Pläne, quälende Gedanken, drückendes Gewissen. Aber natürlich ganz allgemein Not, Krankheit und Gefahr.
Was ist dies nun genau, die Angst, wie äußert sie sich im Menschen?
Man kann diesbezüglich drei Ebenen grob fixieren: Körperliche Reaktionen, negative Gefühle und geändertes Verhalten.
In Deutschland leiden über 8 Millionen Menschen unter Ängsten bzw. Panikattacken. Damit verbunden treten Depressionen mit steigender Tendenz auf. Der im Jahre 2018 erstellte Barmer-Ärzte-Report sagt aus, dass immer mehr junge Erwachsene unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken leiden. Allein zwischen den Jahren 2005 bis 2016 ist der Anteil der 18 bis 25-jährigen mit psychischen Diagnosen um 38 Prozent, darunter bei der Depression um 76 Prozent gestiegen. Entsprechend ist auch die Verordnung von Antidepressiva in diesem Zeitraum um 60 Prozent angestiegen. Selbst bei Studierenden, die bislang als weitestgehend „gesunde“ Gruppe gehalten ist, wird inzwischen mehr als jeder sechste (17 Prozent) von einer psychischen Diagnose betroffen. Vieles spricht dafür, dass es künftig noch deutlich mehr psychisch kranke junge Menschen geben wird.
Unter der Volkskrankheit Angststörungen leiden Frauen (ca. 21 Prozent) weitaus häufiger als Männer (ca. 9 Prozent). Besonders groß ist der Unterschied bei spezifischen Phobien, wobei in diesem Bereich Männer nur zu ca. 5 Prozent, Frauen aber zu über 15 Prozent leiden.
Was läuft nun bei Angst/Furchteinwirkungen im Organismus ab? Hierzu muss man wissen, dass im Bereich des Stammhirns ein relativ kleiner Bereich (Amygdala = Mandelkern) existiert, den man als Furchtzentrum des Menschen bezeichnen kann. Hier wirken angstauslösende Reize erregungssteigernd und lösen eine Vielzahl Reaktionen aus. Sowohl über das vegetative/motorische Nervensystem wird eingewirkt (Herzklopfen, Schwitzen, Blutdruckanstieg, Erstarren, Harndrang usw.), als auch längerfristig wirkende Stresshormonausschüttungen (z. B. Cortisol) finden statt. Zusätzlich treten Emotionen auf (Angst, Motivationsänderung, Bereitschaftsänderung, reduzierte Handlungssteuerung).
Es darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass auch unser Schuldbewusstsein bei derartigen Reaktionen eine gewisse Rolle spielen kann. Treten nämlich an Schuld erinnernde Ereignisse wieder neu auf, wird das Furchtzentrum ebenfalls stets aktiviert und es treten die genannten körperlichen Vorgänge immer wieder auf. Besonders im Falle dadurch verursachter längerfristiger Stresshormonausschüttung kann dies zu einer Vielzahl gesundheitsbeeinträchtigender Folgen führen.
In diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit der lebenswichtigen und angstlösenden Bedeutung von Schuldvergebung auch aus medizinischer Sicht nicht hoch genug einzuschätzen.
Natürlich sind auch andere Hirnbereiche des Menschen (Schläfenlappen, präfrontaler Cortex) bei der Entstehung von Angst und Furcht involviert. Hauptverantwortlich ist jedoch das erwähnte Furchtzentrum, das auch bei Träumen starke Aktivitäten aufweist und so für deren emotionale Färbung wohl die Ursache ist.
Es scheint weiterhin, dass die Amygdala (Mandelkern) traumatische Ereignisse unauslöschlich bewahrt (Langzeit-Potenzierung: Eine langandauernde Verstärkung der Übertragung zwischen Nervenzellen des Gehirns, als Basis von Lernvorgängen. Angstkonditionierung: Die Verbindung eines bedrohlichen Reizes, zum Beispiel schmerzlich hohe Temperatur der eingeschalteten Herdplatte, mit einem neutralen Reiz, zum Beispiel einfaches Berühren; das Kind, das nach der ersten Brandblase den Herd fürchtet).
Das ist wohl ein entscheidender Grund dafür, dass sich Angst hartnäckig und oft außerhalb der bewussten Kontrolle ins Gehirn gleichsam einbrennt und unter Umständen ein ganzes Leben lang quälende Wirkungen haben kann.
Das angstverstärkende Einwirken von Stress ist eine mögliche Antwort auf die Frage, warum besonders bei den eingangs erwähnten jüngeren Menschen das Angstgefühl heutzutage zunimmt. In der Tat berichten viele Studien bei diesem Personenkreis über mangelnde Fähigkeit von Stressbewältigung, situationsunangemessenen Emotionen, gepaart mit Angstzuständen. Dabei sind Angstforscher auf interessante Zusammenhänge gestoßen. Bei jahrelanger Beobachtung von Angstbetroffenen sind sie immer wieder auf ein ganz zentrales Thema gestoßen: Die Mutter [gestörte Mutterbeziehung/Liebesentzug, Überbehütung/Nichtabnabelung (auch fehlender Vater)].
Nicht nur bei jüngeren Menschen, sondern allgemein drohen Angststörungen zu einem Volksleiden zu werden und weisen im subjektiven Erleben eine große Bandbreite auf. Diese reicht von einfachen Angstzuständen, wie bei Wartesituationen (Kinobesuch, Warteschlangen vor Supermarktkassen, Autostaus, rote Ampeln), vor Bus- und Bahnfahrten, vor Menschenansammlungen, vor dem Verlassen gewohnter Umgebungen, vor Autofahrten bis hin zu Höhen- und Brückenangst usw. Natürlich gewichtiger sind Ängste vor Krankheit, vor beruflicher Veränderung, vor Fehlern usw.; bis hin zur Lebensangst (30 Prozent), Existenzangst und Weltangst.
So breit sich der Angstbereich darstellt, so sind doch Angst und Furcht zunächst natürliche, schöpfungsgegebene Einrichtungen, die einem Ziel, dem Erhalt der eigenen Unversehrtheit, dienen sollen (Furchtzentrum). In früheren Zeiten hat der Mensch deshalb auch noch absolut natürlich auf angstauslösende Ereignisse reagiert: Mit Kampf oder Flucht. Heutzutage stellt die Weiterentwicklung der Menschheit mit zahlreichen negativen Begleiterscheinungen für viele eine Überforderung dar, zum Beispiel ständig zunehmende Außenreize, neugeschaffene Gefahren, verlorener Gemeinschaftsgeist (Familie), jahrelanger seelischer Stress usw. Damit kann die heutige Angst jedoch pathologische Dimensionen erlangen und das Leben untergraben, wodurch sie die Persönlichkeit stark verändern, sowie Motivation, Bereitschaft und Handlungssteuerung schwer beeinträchtigen kann.
Gibt es Hilfe?
Wenig seitens der Philosophie, denn die Existenzphilosophie1 nimmt die existenzielle Angst des Menschen als Charakteristikum seiner Weltlichkeit hin, ohne dass diese und die Ungesichertheit des Lebens zu überwinden wären. Es dominiert eine prinzipielle Ungewissheit des Gelingens der eigenen Entwürfe, sowie die Erfahrungen des „Geworfenseins in eine Welt“, die erst erschlossen werden muss bzw. hoffnungslos absurd erscheint. Man ist ausgesetzt in eine Welt, die man zu verlieren fürchtet oder in die man sich zu verlieren fürchtet.
Auch weist die psychologische Angsttherapie nicht immer die gewünschten Erfolge auf. Zwar ist generell richtig, dass gegenüber Angst zunächst Ruhe und Distanz von großer Wichtigkeit sind.
Aber Angst leugnen, beziehungsweise abstreiten, kann zu hoher Angst-Entwicklung führen und hohe Angst-Empfindlichkeit kann sich ebenfalls zu Angst-Eskalation steigern. Die Wirksamkeit verschiedener psychologischer Behandlungsmethoden ist nicht unumstritten. Weder die Psychoanalyse (z. B. Auflösung bewusster Konflikte oder Entfernung der Symptome) noch die Verhaltenstherapie (z. B. Desensibilisierung: Begleitet mit Entspannungsübungen wird dabei ausgehend von schwachen Angstreizen und zunehmender Steigerung versucht, die Toleranz gegen angstauslösende Reize zu erhöhen.
Beispielsweise wird man bei Angst vor Ratten mit dem Zeigen von Fellen beginnen und über Konfrontation mit Häschen und Meerschweinchen weiter steigern. Gegenkonditionierung: Versuch des Umlernens von unerwünschtem, stark ängstlichem Verhalten zu einem entspannteren Verhalten, wobei der auslösende Reiz gleich bleibt. Beispielweise wird einem Kind bei Angst vor auch kleinen Hunden gemeinsam mit diesem, Süßigkeiten oder Spielmaterial angeboten) und auch die kognitive Therapie (z. B. Veränderung der bewussten Einstellungen zu Angstgefühlen: So kann beispielsweise die Angst vor kurz bevorstehendem Herzinfarkt dadurch gemindert werden, dass wiederholt darauf hingewiesen wird, starkes Herzklopfen tritt auch normalerweise bei stärkerer Arbeitsbelastung auf) sind auch völlig frei von Nachteilen.
Oft bleibt als letzter Ausweg die medizinische Therapie (Anxiolytika, z. B. Benzodiapine), welche ebenfalls mit Nebenwirkungen verbunden ist.
Man vergisst, dass Angst als ein Ergebnis relativ fest gespeicherter neuronaler Lernvorgänge, die zumindest teilweise auf Konditionierung basieren, oft unauslöschliche Spuren hinterlässt. Diese Spuren können spontan, unter neuem Stress oder bei schwachen, aber spezifischen Auslösern, sich wieder bemerkbar machen, obwohl die eigentlichen Angsterfahrungen aus dem Gedächtnis gelöscht waren. Besonders ist dies der Fall bei Gewalterfahrungen wie sexueller Missbrauch. Dabei kommen belastende Erinnerungen, auch nur Fragmente von Erinnerungen, plötzlich wieder ins Bewusstsein, so dass Betroffene die schreckliche Situation erneut durchleben. Oft ziehen sich derartig belastete Menschen aus dem sozialen Leben zurück.
Mit diesen Aussagen, dass keine Hilfe seitens der Philosophie, wenig Hilfe von der Psychotherapie, problematische Hilfe seitens der Medizin zu erwarten ist, können diese kurzen Ausführungen nicht abgeschlossen werden. Hier tröstet ein Wort von Jesus Christus wenn er spricht: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh 16,33). Hier wird zwar nicht die Angst (der geschöpflich gegebene Schutzmechanismus) weggenommen, aber diese Aussage eröffnet dem Gläubigen neue Perspektiven und gibt den gesuchten Halt in dieser Welt trotz der Angst.
Dr. Manfred Spreng
ist em. Prof. für Hirnforschung an der Universität Erlangen
1 Existenzphilosophie bezeichnet eine philosophische Richtung, die im Zentrum ihres Denkens die Existenz des Menschen im weitesten Sinne hat