Am dritten Tag, im Morgengrauen, begann es zu donnern und zu blitzen. Schwere Wolken lagen über dem Berg und gewaltiger Hörnerschall erklang. Das ganze Volk im Lager begann zu zittern.
Mose führte das Volk aus dem Lager hinaus Gott entgegen. Unten am Berg blieben sie stehen.
Der ganze Sínai war in Rauch gehüllt, denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen.
Der ganze Berg bebte gewaltig und der Hörnerschall wurde immer lauter.
Mose redete und Gott antwortete ihm mit verstehbarer Stimme.
Zu Pfingsten, am „fünfzigsten Tag“ (pentekoste) nach Ostern - einem alten Erntedankfest -, feierten die Israeliten die Erinnerung an Gottes Offenbarung mit Bundesschluss und Gesetzgebung am Sinai. Die Angaben darüber in Ex 19,1 20,21 sind allerdings sehr uneinheitlich: Neben der Schilderung nach Art eines Gewitters (mit der Gottesbezeichnung „Gott“ ) steht die nach Art eines Vulkanausbruchs (mit der Gottesbezeichnung „der Herr“ ), die sich kaum mit der traditionellen Ortsangabe Sinai (19,1) vereinbaren lässt.
Die meisten Forscher rechnen damit, dass hier ursprünglich getrennte Überlieferungen nachträglich miteinander verbunden wurden. Jedenfalls zeigt diese für heutige Leser eigentümliche Darstellungsweise: Die damaligen Erzähler und Hörer waren an dem äußeren Hergang des Berichteten weniger interessiert als Menschen unserer Tage.
Wichtig war hingegen für sie, was die alten Erzählungen veranschaulichten: Der Glaube an JHWH gründet nicht in Menschen, sondern in Gott selbst; denn der jedes menschliche Begreifen übersteigende Schöpfer der Welt und Retter seines Volkes hat sich Mose und durch diesen dem ganzen Volk zu erkennen gegeben; von ihm stammt die Tora, die Lebensordnung des auserwählten Volkes.
Über dieses Reden Gottes haben Mose und die Israeliten in der Sprache ihrer Zeit gesprochen. Sie bedienten sich dabei der verbreiteten Vorstellungen von Theophanien (Gotteserscheinungen bzw. Gotteserfahrungen) im Gewitter (Donner, Blitz) oder bei Vulkanausbrüchen (Rauch, Erdbeben).
Solche Naturvorgänge wecken ja bis heute in Menschen das Empfinden an eine höhere Macht (das Heilige). Der zweimal erwähnte Schall der Hörner war allen aus der Liturgie geläufig; durch Blasen von Hörnern wurde das Volk zum Gottesdienst, zum Hören auf Gott, zusammengerufen (so wie heute durch das Läuten).
Diesem menschlichen Sprechen der Bibel über Gottes Reden entsprechen auch spätere jüdische Ausdeutungen (Midraschim): Danach war am Sinai Gottes Wort nicht bloß zu hören, sondern nach Art feuriger Blitze zu sehen; Gottes Stimme erging sogar in 70 Sprachen (als für alle Menschen gültige Weisung).
Die mit der jüdischen Pfingstliturgie vertrauten ersten Christen bedienten sich dieser Aussageweisen, um über das jedes menschliche Begreifen übersteigende „Pfingstwunder“ zu sprechen: Am ersten Pfingstfest nach Jesu Tod predigten die Apostel öffentlich seine Auferstehung und Erhöhung (vgl. Apg 2,36), nicht aufgrund eigener Erfindung, sondern ermutigt durch Gott selbst, der sie mit seinem Lebensodem (Geist) dazu befähigte.