Die Orgel
„Ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott zu erheben“, sagt die Liturgiekommission des II. Vatikanischen Konzils und bestimmt zugleich, dieses traditionsreiche Musikinstrument möge in der westlichen Kirche weiterhin hoch in Ehren bleiben.
Die lange Geschichte der Orgel reicht in vorchristliche Zeit zurück. Damals gelang es erstmals, die Hirtenpfeife des Pan mit dem Mechanismus einer Tastenreihe zu verbinden und mit Hilfe des bei der Sackpfeife vorgebildeten Balges zum Klingen zu bringen. Bescheiden waren die ersten Instrumente dieser Art: kleine, im Arm zu tragende Orgeln, die durch viele Jahrhunderte im Gebrauch blieben. Später entstand das größere Positiv, das zwar tragbar war, aber beim Spielen auf den Boden gestellt wurde.

Schon im 10. Jahrhundert baute man in England eine Orgel mit 400 Pfeifen. Ab dem 15. Jahrhundert kennt man die riesigen Prachtorgeln mit mehreren Klaviaturen für die Hände – Manuale genannt – und mit dem Pedal, der mit den Füßen zu bedienenden Klaviatur. Das im Jahre 1585 für die Marienkirche in Danzig erbaute Orgelwerk hatte nicht weniger als 3742 Pfeifen. Auch für das Gehäuse dieser Orgeln, den Prospekt, wurde viel künstlerische Anstrengung aufgewendet, Bildschnitzer und Maler wurden damit beauftragt. Nicht selten wurde der Orgelschrein mit bemalten Flügeln versehen. In der Fastenzeit, wenn die Orgel schwieg, konnte sie verschlossen werden wie ein Flügelaltar.
„Königin der Instrumente“ nennt man die Orgel, und das Recht auf diesen Namen erweist sich, wenn sie dröhnend den Raum einer Kathedrale erfüllt; etwa mit den Klängen der Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Rauschende Tonkaskaden oder ein schlichtes Orgelpräludium, alles will Gottesdienst sein und den Menschen zum Loben, Bitten und Danken auf Gott hin befreien helfen.
Auf manchen Orgeltribünen und Orgelgehäusen sind purzelnde Engelkinder dargestellt, die Musikinstrumente bedienen, oder aber der König David, Vorsänger der Synagoge wie der Kirche, mit der Harfe in Händen. Hier kommt zu bildlichem Ausdruck, was die Orgel zu Gehör bringt: Lob und Klage, Dank und Bitte. Im ewigen Leben aber wird es nur mehr das Lob geben. „Präludium vitae aeternae“ – „Vorklang des ewigen Leben“: Diese Worte sind an das Gehäuse einer Orgel in Nordeuropa geschrieben. Sie sagen, dass die Orgel vor allem zum Lob Gottes bestimmt ist.
Bischof Egon Kapellari
entnommen aus:
Heilige Zeichen, Styria
