Wer bin ich für dich?
Diese Frage stellt Jesus uns allen. Das Evangelium, in dem Jesus die Jünger fragt „Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“, ist uns allen vertraut. Die damaligen Menschen haben verschiedene Ideen gehabt, wer Jesus Christus sein könnte. Seine „Landsleute“ aus Nazaret waren sich klar, er ist der Sohn des Zimmermanns. Andere Menschen haben schon damals erkannt, dass Jesus nicht irgendjemand sondern eine besondere Person ist. Darum dachten sie, er müsste ein wiedergekommener Prophet sein. Zum Beispiel Jeremia, Jesaja, Elija oder gar Johannes der Täufer, der wiedergeboren wurde. Das sind auch die Antworten, die die Apostel Jesus auf seine Frage „Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“ geben. Doch Jesus belässt es nicht dabei, zu hören, was andere über ihn denken oder wofür andere ihn halten. Sondern er fragt weiter: „Für wen aber haltet ihr mich?“ Petrus ist es, der die Stimme ergreift und bekennt: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Ein ganz klares Bekenntnis, das Jesus als vom Vater selbst inspiriert ansieht, denn er spricht Petrus zu, dass nicht „Fleisch und Blut“ ihm dieses offenbart haben, sondern sein Vater im Himmel.
Die vor 2000 Jahren gestellte Frage Jesu an seine Jünger bleibt aktuell bis heute, denn auch uns stellt er diese Frage. Gerade ältere Gläubige sind es vom Religionsunterricht oder aus der Katechese noch gewohnt, diese Frage sehr schnell beantworten zu können: Jesus ist der Sohn Gottes, wahrer Mensch und wahrer Gott, der Erlöser der Welt. All das sind natürlich richtige Antworten, aber kommen sie wirklich aus dem Innersten des Menschen? Darum fragt Jesus: Wer bin ich für dich? Die Antworten aus dem Katechismus können und sollen natürlich mit unserem Bild von Jesus übereinstimmen, jedoch darf es nicht bei einer auswendig gelernten Antwort bleiben. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, welche Rolle Jesus in unserem Leben spielt und wer er wirklich für uns ist. Denn nur so können wir eine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen. Im Zusammenhang mit dem Bekenntnis des Petrus und der anderen Jünger ruft Jesus zur Nachfolge auf. Dies tut er auf eine besondere Art und Weise, indem er die Jünger aufruft, „hinter ihm herzugehen“. Gerade in unserer Zeit ist diese Aufforderung Jesu von einer besonderen Aktualität, denn wir haben viele Menschen, die anderen Menschen „folgen“. Nämlich in den sozialen Medien, zum Beispiel Facebook, Instagram, und anderen Online-Plattformen. Zum Teil haben Menschen dort Hunderttausende oder mehr „Follower“. Aber diese Art, jemandem zu folgen, ist ganz anders als die Nachfolge, zu der Jesus uns aufruft. Die Personen, denen in den Medien gefolgt wird, sind Stars oder andere bekannte Persönlichkeiten, die man mit Namen kennt, von denen man weiß, was sie tun, aber zu denen man keine persönliche Beziehung aufbauen muss. Man gehört zu einer mehr oder weniger anonymen Gruppe von Fans, die mehr oder weniger verbindlich diesen Personen folgen.
„Hinter jemandem herzugehen“ bedeutet jedoch etwas ganz anderes. Folgen kann ich jemandem aus der Ferne, hinter jemandem herzugehen erfordert Nähe. Ich muss diese Person im Blick haben und mit ihr in Kontakt sein. Gleichzeitig erfordert es Vertrauen, weil ich mich auf den Weg dieser Person einlasse. Und weil ich auch direkt mit dieser Person in Verbindung gebracht werde. Ich kann nicht in einer anonymen Masse untertauchen, sondern meine Entscheidung erfordert Mut zum Bekenntnis. Das spricht auch Jesus deutlich an, indem er den Jüngern keine falschen Versprechungen macht sondern ihnen verheißt, dass Nachfolge im Sinne von „Hinterhergehen“ auch Teilhabe an seinem Kreuz und seinem Schicksal bedeutet.
In einer Zeit, in der viele Menschen sich nicht mehr binden wollen, sei es an jemanden oder auch an etwas, fordert Jesus von uns genau diese Verbindlichkeit, ohne die es in der Beziehung zu ihm nicht geht. Er selber bindet sich an uns, indem er uns zusagt, „bei uns zu bleiben bis zum Ende der Welt“. Jesu Angebot seiner Liebe ist unverbrüchlich und ewig. Jeder, der dieses Angebot annimmt, wird Bruder und Schwester Jesu und somit Kind Gottes.
Im Johannesevangelium lesen wir die Zusage Gottes, dass er „allen, die ihn aufnehmen, die Macht gab, Kinder Gottes zu werden“. Die Gotteskindschaft ist das größte Geschenk, das er uns macht, denn ein Kind bleibt immer ein Kind, auch wenn es sich von seinen Eltern trennt oder umgekehrt. Rein genetisch kann heutzutage ganz genau nachgewiesen werden, und das sogar über den Tod hinaus, wer wessen Kind ist. Eine solch unauflösliche Bindung geht Gott mit uns Menschen in Jesus Christus ein.
Wer ist er also für mich persönlich? Eine Frage, die wir uns immer neu stellen müssen und deren Antwort wohl niemals ganz abgeschlossen ist, denn Beziehung bedeutet auch Entwicklung, da eine Beziehung nichts Statisches ist sondern sich weiterentwickeln muss. Als Kind haben wir eine andere Beziehung zu Gott wie als Erwachsener. Wenn wir im Berufsleben stehen, schaut die Beziehung anders aus als wenn wir in der Pension sind. In Gesundheit anders als in Zeiten der Krankheit. Wichtig ist bei dieser Entwicklung, dass unsere Beziehung zu Jesus sich mehr und mehr vertieft. Es darf keine Routine entstehen sondern sie muss lebendig bleiben. Eine Beziehung hat als Fundament Vertrauen und Zeit, die man sich für den anderen, in dem Fall natürlich für Jesus, nimmt. Wenn Jesus für uns wirklich der Erlöser und Retter ist, dann müssen wir uns an ihm festhalten, nicht auf falsche Sicherheiten bauen sondern ihm ganz und gar vertrauen. Darum ist es wichtig, ihn kennen zu lernen, indem wir die Evangelien lesen, indem wir sein Wort in uns wirken lassen. Wir müssen lernen, auf seine Stimme zu hören und ihn zu erkennen. Gerade in unserer schnelllebigen und lauten Zeit ist es leicht, Gottes leise Stimme zu überhören und ihn im Rampenlicht der Welt zu übersehen. „Gott schreit und lärmt nicht“ und er blendet uns nicht sondern er erleuchtet uns und spricht zu uns in leisen, aber klaren Worten. Keine falschen Versprechungen sondern die deutliche und hoffnungsbringende Botschaft des Evangeliums ist es, die er uns mit auf den Weg gibt. Er selber geht voran, damit wir hinter ihm hergehen können!
„Wer bin ich für dich?“ Diese Frage muss jeder von uns persönlich beantworten. Doch egal wie diese Antwort letztlich formuliert ist, sie muss im Kern die Wahrheit beinhalten, die der heilige Franziskus von Assisi in den Worten zusammengefasst hat: „Mein Gott und mein Alles!“
P. Elias van Haaren OFM