Die Magd des Herrn
„Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Knapp und klar sieht sie ihr Verhältnis zu Gott: Er ist ihr Herr und sie ist seine Dienerin; er verfügt, was sie zu tun hat, und sie macht sich die Aufgabe zu eigen, die er ihr zuteilt. Uns kann dieser Ausdruck „die Magd des Herrn“ als so selbstverständlich erscheinen, dass er nicht weiter zu beachten ist. Wenn wir aber feststellen, dass in der ganzen Heiligen Schrift nur Maria als „die Magd des Herrn“ bezeichnet wird und dass nur sie selber sich so nennt, kann das unsere Aufmerksamkeit wecken. Gott ist doch der Herr aller Menschen und alle stehen in einem Dienstverhältnis zu ihm. Was soll es dann bedeuten, dass „die Magd des Herrn“ die Maria eigene Sicht ihrer Beziehung zu Gott ausdrückt?
Nicht Bitte an Gott, sondern von Gott ‚gebeten‘
In der Heiligen Schrift können mit Maria und ihrem Wort noch am ehesten Hanna und Ester verglichen werden. Hanna, die künftige Mutter Samuels, macht Gott ein Gelübde und bittet um die Geburt eines Sohnes, dabei nennt sie sich dreimal „deine Magd“ (1 Sam 1,11). In großer Not wendet sich Ester an Gott und bittet ihn um Hilfe; auch sie nennt sich zweimal „deine Magd“ (Ester 4,17xy). Wir dürfen die Unterschiede zu Maria nicht übersehen. Nur sie nennt sich wörtlich „die Magd des Herrn“. Und das geschieht nicht in Gebet, um das Bitten zu begründen, sondern um den Auftrag Gottes anzunehmen. Nicht Maria bittet Gott um eine Gabe oder Hilfe, sondern Gott hat sie für eine Aufgabe bestimmt und hat ihr diese mitteilen lassen. Mit ihrem Wort stimmt Maria dem Auftrag zu und stellt sich mit ihrer ganzen Person in den Dienst Gottes.
Die Dienste der Magd des Herrn
Nur Lukas bringt diese Selbstbezeichnung Marias und nennt auch einige ihrer Dienste. Gabriel teilt ihr mit: „Du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben“ (1,31). Er ist der Sohn des Höchsten und der endgültige König Israels (1,32-33). Sie wird ihn nicht durch die Verbindung mit einem Mann empfangen, sondern durch die Kraft des Höchsten (1,35). Es ist also der Dienst der Mutter, den Gott für seinen Sohn von Maria erwartet, und sie soll auf außergewöhnliche Weise Mutter werden. Dieser Aufgabe, die ihren Glauben an die Macht Gottes herausfordert (1,37.45) und die ihre ganze Person, mit Leib und Seele, beansprucht, stimmt Maria zu. Für jeden Menschen ist dieser Dienst von fundamentaler Bedeutung; das Leben selber hängt von ihm ab. Jedes Kind verdankt ihn seiner Mutter, und er stiftet eine Beziehung, die verschiedene Formen annehmen mag, die aber nie aufhört. Maria soll diesen Dienst dem Sohn Gottes und Retter der Menschen leisten.
Nur an wenigen Stellen konkretisiert Lukas die Aufgabe. Auf die unzähligen kleinen, aber lebenswichtigen Dienste, die jede Mutter über Jahre hinweg und wie selbstverständlich für das leibliche Wohl ihres Kindes erbringt, verweisen die Worte: „Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe“ (2,7) und „Selig der Schoß, der dich getragen, und die Brust, die dich gestillt hat!“ (11,27). Dass Jesus während seines öffentlichen Wirkens das Annehmen seiner Botschaft in den Vordergrund stellt (11,28), entwertet diese Dienste nicht. Jesus nennt als beispielhaften Dienst, die volle Verantwortung für ein Kind zu übernehmen (Mk 9,36-37); er ist zu allen Zeiten und in allen Kulturen urmenschlich, von fundamentaler Bedeutung.
Zur Aufgabe von Maria, und auch von Josef, gehört es, dass sie sich um die geistige Entwicklung Jesu kümmern und ihn in den Glauben Israels einführen. Sie sorgen, dass er beschnitten (2,21) und dem Herrn dargestellt (2,22) wird, und sie nehmen ihn zur Feier des Paschafestes nach Jerusalem mit (2,42). Hier wird auch berichtet, dass Maria Jesus als „Kind“ anspricht (2,48). Niemand außer ihr kann Jesus so nennen; das Wort steht für ihre einzigartige Beziehung. Wir haben nur wenige Hinweise auf die konkreten Dienste Marias. Es liegt an uns, ihre Bedeutung zu erwägen und aus ihnen zu erkennen, welch einmaliges Verhältnis zu Jesus für Maria aus ihrer Aufgabe als der Magd des Herrn hervorgeht.
Die Grenzen ihres Dienstes
Wesentlich ist noch eine andere Seite an der Aufgabe, die Maria gestellt ist. Gerade als „die Magd des Herrn“ erlebt und lernt sie, wie ihre Beziehung zu Jesus seiner Beziehung zu Gott, dem Vater (2,49), und seiner Sendung durch den Vater zugeordnet ist. Dieses Lernen vollzieht sich nicht ohne Schmerzen (2,35.50) und ohne Spannungen (8,19-21; 11,27-28), aber mit ihrem Herzen (2,51) setzt sich Maria dafür ein und dient auch so dem Herrn, Gott dem Vater und ihrem Sohn. Mit der jungen Kirche erlebt sie dann (Apg 1,14), wie ihr Sohn sein Werk vollbracht und den Weg vollendet hat, zu dem sie ihren Dienst leisten durfte.
Gabriel nennt Maria „die Begnadete“ (1,28) und teilt mit, wie Gott zu ihr steht. Elisabet begrüßt sie als „die Mutter meines Herrn“ (1,43), anerkennt ihre Würde und verbindet sich mit ihr. Maria selber bezeichnet sich als „die Magd des Herrn“; sie sieht sich von dem Dienst her, für den Gott sie erwählt hat. Diese Bezeichnung ist einmalig – so einmalig wie die Aufgabe, die der Herr ihr anvertraut hat.
Prof. P. Dr. Klemens Stock SJ
em. Prof. für Neues Testament am päpstlichen Bibelinstitut